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Heute demonstrierten Menschen in Berlin gegen die BILD-Zeitung. In dieser „Zeitung“ stehen oft despektierliche Dinge. Wenn nicht gerade auf Persönlichkeitsrechten herumgetrampelt wird, macht die BILD Stimmung gegen Minderheiten und politisch anders gesinnte. Ja, die BILD legt oft eine politische Gesinnung an den Tag, und sie fährt regelmäßig Kampagnen, welche eine deutlich reaktionäre und teilweise fremdenfeindliche Handschrift tragen.
Dagegen wird nun demonstriert. Finde ich prinzipiell gut, schließlich dienen Demonstrationen und andere politische Aktionsformen ja der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit. Und die Methoden der BILD sowie ihre politischen Botschaften könnten durchaus mehr kritische Aufmerksamkeit vertragen.
Also los — auf die Barrikaden, BILD-Boykott, weg damit!
Klingt total schlüssig, hinterlässt mich dann aber doch etwas nachdenklich. Warum gab es denn quasi keinen Widerstand gegen die BILD? Warum werden denn die Themen und Impulse der BILD so bereitwillig in Politik und Medien™ aufgenommen?
Wieso verkauft sich die BILD überhaupt so gut?
Wenn ich der Argumentation einiger BILD-Boykottler*innen folge, müsste diese Zeitung nur von den Verkaufsflächen verschwinden und die Leute würden sich „besinnen“. Dieses Denkmuster ist nicht neu, sondern folgt im Prinzip der gleichen Logik, die jeder anderen Elitenkritik ebenfalls innewohnt. Mal sinds „die Politiker“, „Banker“, „Manager“, „Presse“, „Pharmalobby“ oder die „Deutschland-Macher“ von der GmbH (alles wahlweise auch in „korrupt“ oder „unfähig“ erhältlich). Die als Problem ausgemachte Gruppe muss weg, danach ist alles top.
Ist natürlich quatsch. Gesellschaftliche Probleme sind nicht die Schuld einer kleinen Gruppe (auch wenn das in Deutschland eine beliebte Argumentation sein mag). Verhaltensweisen wie Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Entmenschlichung und Rassismus enstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind kulturell in unserer Gesellschaft verankert. Treten einzelne Politiker*innen/Manager*innen/Journalisten*innen ab, stehen gleich mehrere zur Nachfolge bereit — meist mit dem Anspruch, es besser zu machen. Wobei das „besser“ dann halt das ist, was die Gesellschaft und das eigene Umfeld unter „besser“ versteht.
Den Elitenkritiker*innen ist gemein, dass sie diese Mechanismen nicht sehen können oder wollen. Nicht die Strukturen oder die Gesellschaft korrumpieren — Elitekritiker*innen sind der Meinung, die Menschen selber seien korrupt (oder unfähig). Sie selber natürlich nicht. Die Abwertungsdynamik ist offensichtlich.
Und messbar. In der Studie Fragile Mitte, feindselige Zustände“ (2014) wiesen Menschen, die besonders starke Kritik an (politischen) Eliten äußerten, auch besonders häufig andere Abwertungstendenzen auf:
Misstrauen in politische Eliten stehen den demokratischen Grundwerten der Gleichwertigkeit, Gewaltfreiheit und Partizipation entgegen. Demokratiezweifel und das Misstrauen in politische Eliten gehen mit höherer Zustimmung zu den Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, höherer Gewaltakzeptanz und geringerer Partizipationsbereitschaft einher.
(Seite 146)
Zurück zum BILD-Boykott: Es gibt viele Dinge, die an der BILD kritisiert werden können (und sollten!). Die Fokussierung auf die BILD als Symbol für strukturell verankerten Rassismus und all die anderen furchtbaren Dinge ist naheliegend. Entscheidend ist aber nicht das Symbol, sondern was am Ende kritisiert wird.
Der BILD-Boykott ruft unweigerlich Menschen auf den Plan, welche die BILD eben nicht nur als Symbol für tieferliegende Probleme sehen, sondern tatsächlich der Meinung sind, die Beseitigung der BILD würde alles besser machen. Menschen, die sonst über die „korrupten“ oder „unfähigen“ Politiker schimpfen. Die gegen die „NATO-Kriegshetzer“ demonstrieren und gegen die Eliten, die angeblich gegen den „Willen des Volkes“ Waffen exportieren und Kriege führen, das ohrenbetäubende Schweigen des „Volkes“ dann aber auch nur auf die nächste Elite (z.B. „BILD“) schieben können. Menschen, die eben alles tun um sich nicht selber in irgend einer Verantwortung zu sehen oder gar in einer Minderheitenposition.
Die BILD abzuschalten würde unsere Gesellschaft nicht magisch transformieren, sondern eine Marktlücke schaffen. Und Jauch, Plasberg, Illner, … (von den Hetzer*innen rechts außen ganz zu schweigen) blieben uns ohnehin erhalten. Die nächste BILD hieße nur anders, der Bedarf ist da. Zu glauben, dass sich BILD-Leser*innen nach der BILD ihre bisherigen Überzeugungen fallen lassen und an die nächstbeste politische Überzeugung ranschmeißen würden (am besten die der BILD-Boykottler*innen?), sagt vor allem etwas über das Menschenbild (und Demokratieverständnis) einiger BILD-Gegner*innen aus.
Nicht die BILD muss weg, sondern die Denke, die dahinter steht. Und die findet sich nunmal nicht bei einer bestimmten Elite, sondern um uns herum und in uns selber. Rassismus, Hetze, Sensationsgier, Entmenschlichung — sind kulturell verankert, in unseren Köpfen.